Brief an mich!

Lieber Sven,

du sitzt da in deinem Zimmer, die Tür ist zu, die Gedanken laut. Draußen tobt die Welt, aber in dir ist es still. Still vor Schmerz, vor Scham, vor dem Gefühl, irgendwie nicht richtig zu sein. Und ich weiß, du denkst gerade, dass du es vielleicht einfach nicht mehr schaffst. Dass es dir zu viel ist. Zu empfindlich, zu falsch & zu anders.

Ich weiß das, weil ich du bin. Und ich möchte dir heute etwas sagen, das du wahrscheinlich oft gehört hast, aber nie wirklich glauben konntest: Es wird besser.

Ich weiß, wie hohl dieser Satz klingt, wenn du gerade am Boden liegst. Wenn du dir jeden Tag aufs Neue überlegst, wie du dich durch den Unterricht schleppst, ohne zusammenzubrechen. Ich weiß, wie sehr es dich zerreißt, wenn du „Scheiß Schwuchtel“ oder „Schwan*lutscher“ hörst, wieder und wieder, laut und leise, in der Pause, auf dem Gang, im Bus. Und ich weiß, dass das Schlimmste nicht mal die Worte selbst sind, sondern das Schweigen. Das Zuschauen. Die Lehrer, die weghören. Die Mitschüler, die sich wegdrehen. Die Erwachsenen, die sagen: „Das ist nur eine Phase.“

Nein, das ist keine Phase. Das bist du und du bist gut, genau so!

Ich schreibe dir diesen Brief, weil ich will, dass du durchhältst. Weil ich will, dass du verstehst: All das, was dich heute zerbricht, wird dich morgen stärker machen. Nicht sofort. Nicht von selbst. Aber Schritt für Schritt.

Du wirst lernen, dir selbst zu vertrauen. Du wirst deinen Abschluss machen, auch wenn du heute glaubst, dass alles zu viel ist. Du wirst herausfinden, was du wirklich willst. Du wirst anfangen, dich zu wehren, erst leise, dann laut. Du wirst erkennen, dass du wertvoll bist und dass das, was dir passiert ist, nicht deine Schuld war.

Du wirst irgendwann anderen helfen können. Du wirst Menschen begegnen, die dich sehen. Die dich nicht ändern wollen und du wirst mutig sein, für dich und für andere.

Aber vergiss bitte nie: Auch jetzt, wo du verletzt, verwirrt und so verdammt müde bist, bist du richtig. Du musst nicht erst stark, schlau oder „normal“ sein, um wertvoll zu sein. Du bist es jetzt schon. Mit all deinen Ängsten, mit all deinem Schmerz.

Lass dir von niemandem einreden, du seist falsch. Nicht die Sprüche auf dem Schulhof, nicht die Blicke & nicht die Erwachsenen, die versagt haben, dich zu schützen.

Du bist kein Problem. Du bist eine Antwort. Du wirst jemand, der sich hinstellt und sagt: „Ich weiß, wie sich das anfühlt.“ und allein damit wirst du so vielen Menschen Hoffnung geben, die sich selbst aufgegeben haben.

Und noch etwas: Es ist okay, wenn du wütend bist, wenn du traurig bist oder wenn du dich ungerecht behandelt fühlst. Du musst nicht verzeihen, nicht vergessen, aber du darfst weitergehen. Du darfst leben und du darfst glücklich werden, auch wenn du das heute noch nicht glauben kannst.

Ich sehe dich, ich kenn dich & ich bin stolz auf dich.

In Liebe,
dein späteres Ich Sven


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